SAMW

Zusammenfassung

Die normativen Aussagen der SAMW zur Sterbebegleitung und assistiertem Suizid müssen als Beitrag zur smarter medicine Bewegung aufgefasst werden.  Im Vordergrund stehen gemäss Prof. Dr. med. Christian Kind, St. Gallen, Fragen um Lebensqualität, das Nutzenverhältnis zum Aufwand – und damit zu den Kosten -, die Entmachtung der Medizin, die nie schaden darf, die neue Norm, dass ein Abschalten von lebenserhaltenden Massnahmen keine aktive Tötung darstelle, das völlige Fehlen eines Vorschlags zur wissenschaftlichen Begleitforschung im Kontext von Tötungen und Selbsttötungen und das in den Vordergrund stellen der Subjektivität anstelle des gesellschaftlichen beim Sterben, mithin eine Individualisierung des Todes in der zu weitgehenden alleinigen Überverantwortung an den Kranken.

Im Ergebnis wird die Schwelle zu Tötung (Euthanasie) und Selbsttötung (assistierter Suizid) gesenkt und mit neuen ethischen und rechtlichen Normen verbunden, welche die gesellschaftlichen Akzeptanz des freiwilligen Ausscheidens aus dem Leben erhöht und damit eben gerade dieser Weg implizit aus Kostengründen zur neuen Norm des Sterbens werden soll.

Damit deklariert die SAMW ihre utilitaristische Sichtweise im Gesundheitswesen und erklärt sich erneut als Protagonistin einer Rationierungsbewegung in der Schweiz. Eine entsprechende Disclosure bei ZEK und SAMW ist jetzt zu fordern.

Beitrag

Besonders interessant ist die aktive Teilnahme der SAMW in der smarter medicine Bewegung. Es gilt deshalb zu untersuchen, wieweit die SAMW neue Normen im Umgang mit Sterben und Tod in den neuen Medizin-ethische Richtlinien der SAMW implementiert, welche der Rationierung medizinischer Leistungen bei lebensmüden Personen oder bei Personen gegen das Lebensende oder im Sterbeprozss befürworten. Dabei geht es vor allem um das Kapitel 6.2 (Handlungen die kontrovers diskutiert werden), um das Kapitel 2 (die ethischen Grundsätze), Kapitel 5 (Richtlinien zu den Entscheidungsprozessen) und das Kapitel 6 (Handlungen, die möglicherweise oder sicher den Eintritt des Todes beschleunigen).

Prof. Kind, der Präsident der selbsternannten zentralen Ethikkommission (nicht mit der Nationalen Ethik-Kommisssion zu verwechseln)  formuliert zunächst die drei Grundsatze. 1. Ziel der medizinischen Handlung. 2. Selbstbestimmungsrechte. 3.  Schutz des Patienten vor sich selbst (“…davor geschützt werden, dass von ihnen geäusserte Wünsche unkritisch erfüllt werden, obwohl sie nicht ihrem aufgeklärten, freien und wohlüberlegten Willen entsprechen”).

Wie befürchtet, will die SAMW über diese Sterberichtlinien das Potential für die Rationierung im Umgang mit den Sterbekosten besser ausschöpfen. Dies wird erreicht durch zahlreiche Grauzonen-Vorschläge, welche es dann dem Einzelnen überlassen, ohne weitere Kontrolle «subjektive» Entscheide zu fällen.

Folgende konkreten Normen-Vorschläge der SAMW sind diskutieren (https://www.samw.ch/de/Ethik/Themen-A-bis-Z/Sterben-und-Tod.html):

  1. Das Selbstbestimmungsrecht wird vor den Dialog gestellt und damit die Personenrechte von Angehörigen, mithin der gesamte soziale Kontext einer Person sekundär.
  2. Die Lebensqualität wird als Handlungsmasstab genommen, obwohl die zeitliche Begrenztheit und enorme Subjektivität der Lebensqualität massiven Schwankungen unterworfen sein kann. Der Vorschlag zielt darauf ab, Leben mit schlechter Lebensqualität nach Möglichkeit nicht weiter zu unterstützen
  3. Leiden und Leidensminderung soll im Vordergrund stehen und kann auch abgekürzt werden, z.B. mithilfe des Behandlungsziels (Kap 2.5), einen möglichst rasches Eintreten des Todes zu beabsichtigen.
  4. Bei den Entscheidungsprozessen sollen die Suizidenten vermehrt einbezogen werden, ohne dass klar definiert wird, auf welchen medizinischen Grundlagen Entscheidungen überhaupt erstellt werden.
  5. Bei Meinungsverschiedenheiten soll letztlich die kantonale Erwachsenen-Schutzbehörde beigezogen werden, ohne dass thematisiert wird, welche Rolle diese Behörden bei Sterbebegleitung überhaupt zukommt. 
  6. Intensivmedizinische Massnahmen dürfen nur begonnen oder fortgesetzt werden, wenn die begründete Aussicht darauf besteht, dass dadurch ein Weiterleben mit angemessener Lebensqualität ausserhalb des akutmedizinischen Umfelds ermöglicht wird. Therapien ohne
    Aussicht auf einen Erfolg können weder vom Patienten noch von den Angehörigen eingefordert werden.  Eine angemessene Lebensqualität wird jedoch nicht definiert  
  7. Bei  der Normierung des assistierten Suizids durch Ärzte bleibt die SAMW wage, sie überlässt es dem Gutdünken des Arztes, ob eine Suizidbegleitung ein Ziel der Medizin ist
  8. Die Herbeiführung des Todes durch Beenden einer lebenserhaltenden Massnahme auf ausdrückliches Verlangen des urteilsfähigen Patienten ist keine aktive Tötung. Diese Norm  erklärt die ZEK durch die textfreie Fussnote 25. Die Fussnote 25 verweist auf die textfreie Fussnote 12.  Die Fussnote 12 verweist auf Kapitel 2.1 des Anhangs.  Dort werden vorgeschlagene Behandlungsziele definiert, und dort ist unter 2.1.4 das Ziel erwähnt: “die beabsichtigte Herbeiführung des Todes auf möglichst schmerzlose und wenig belastende Weise. Das medizinische Handeln erfolgt primär mit dieser Intention”. Die SAMW spricht also hier von Euthanasie als mögliches Behandlungsziel, behauptet aber schon mal vorneweg, dass das Beenden lebenserhaltender Massnahmen keine aktive Tötung darstellen würde. 
    1. Die SAMW /ZEK schlägt also allen Ernstes vor, die Euthanasie in der medizinischen Praxis als straffreie Handlung zu werten, es handle sich nicht um eine aktive Tötung.
  9. Ziele der Medizin: Sie darf keinesfalls schaden. Diese neue Norm schafft die Medizin ab. 
  10. Das Wort Nutzen als neue Norm im medizinischen Kontext muss im Kotext des Verhältnisses zwischen Kosten und Nutzen gelesen werden: 
    1. Im Rahmen einer limitierten Therapie wird auf einzelne  lebenserhaltende Massnahmen verzichtet, weil die damit verbundene Beeinträchtigung der Lebensqualität den erwarteten Nutzen eines möglichen Gewinns an Lebensdauer aus Sicht der Patientin
      übersteigt oder dieser den Therapieverzicht aus anderen Gründen wünscht.
    2. Bei der Unterlassung oder beim Abbruch einer potentiell lebenserhaltenden Behandlung wird in der Regel angenommen, dass dies zu einer Verkürzung der Lebensdauer führt. Immer wieder zeigt es sich aber, dass nach Therapieabbruch auch das Gegenteil der Fall sein
      kann, da die abgebrochene Therapie mehr Schaden als Nutzen gestiftet hat.

Das Normative des Subjektiven lässt sich ferner daran ablesen, 

  • dass keine Begleitforschung gefordert wird
  • dass die Diskussion um die Prognose der subjektiven Einschätzung überlassen wird bzw. völlig unreglementiert bleibt,
  • dass medizinische Entscheide durch die Lebensqualität massgeblich beeinflusst werden sollen (QALY) (siehe dazu auch verfassungrechtliche Probleme in der Schweiz. Link sowie die Problematik von QALY als wissenschaftliches Instrument Link sowie die komplette Ablehnung einer 1’500 köpfigen europäischen Expertengruppe zu den QALY Link)
  • dass die Subjektivität des Helfers nicht ausreichend thematisiert wird,
  • dass die Instrumente zur Überprüfung problematischer Sterbewünsche nicht ausreichend dargelegt werden und
  • dass die Beurteilung der Überlebenschancen oder medizinischer Therapien der Subjektivität der Mediziner überlassen werden soll,
  • dass die Angst vor totaler Abhängigkeit nicht thematisiert wird und wie ihr zu begegnen sei
  • das Behandlungsziel «Beendigung des Lebens»,
  • zur Disposition Stellung der Ethik als normative Kraft mit dem Begriff der «Grauzonen Ethik» sowie
  • der grobe Lapsus zum Auftrag der Medizin betreffend «primum nunquam nocere».
  • der Begriff der Urteilsfähigkeit wird weder juristisch noch medizinisch definiert und bleibt so gefährlich ungefähr
  • auf die Thematik der Abgrenzung Palliativ-Medizin und Exit Institutionen wird nicht eingegangen
  • die Aufsichtspflicht wird nicht thematisiert
  • die Begleitforschung wird nicht thematisiert
  • die Frage der Kommunikation in der Öffentlichkeit und die Frage, ob Werbung statthaft ist, wird nicht thematisiert
  • Die Finanzierung des begleiteten Suizids wird nicht thematisiert
  • Die Abklärung betreffend die Motive bei Wunsch nach assistiertem Suizid ohne Krankheit wird nicht ausreichend definiert.

Konkrete Problemzonen:

  • Seite 4: Angepasste Information ist nicht definiert.
  • Seite 5: Vollständige Aufklärung über die medizinische Situation ist nicht definiert. Bei einem Fehler in der Einschätzung der Prognose kann der Patient in Todesangst versetzt werden. Hier muss unbedingt die Philosophie des Arztes einbezogen werden, insbesondere betreffend Grundhaltung zu Hoffnung, Optimismus und Pessimismus. Verbreitung von Angst und Panik mit dem Ziel, Geld einzusparen, kann Menschen in den Tod treiben.
  • Seite 6: Die Beeinflussung durch Angehörige in Richtung Suizid setzt vom Beurteilenden voraus, dass er z.B. über die finanzielle Situation Informationen erhalten müsste. Daraus ergibt sich generell die Frage, welche Informationen vorab vor eine Gespräch mit dem Suizidwilligen und den Angehörigen überhaupt vorliegen sollten.
  • Seite 6: Es ist äusserst fraglich, ob die Beurteilung der Lebensqualität als Kriterium für medizinische Behandlung gelten soll. Dieser Anspruch geht in Richtung QALY.  Eine medizinische Behandlung wird wegen der Lebensqualität nicht unzweckmässig. Hier zielt die SAMW auf eine Rationierung von Krebsbehandlungen, die z.B. Übelkeit verursachen. Hier wird ein Paradigmenwechsel eingeführt, der äusserst problematisch ist. Eine Verminderung der Lebensqualität kann durchaus akzeptiert werden, wenn die Situation betreffend eine Verbesserung der Prognose diesen Optimismus erlaubt. Ganz besonders ist es gefährlich, wenn die Lebensqualität aufgrund «objektiver Beobachtung» beurteilt wird.
  • Seite 8: Es geht nicht nur darum, ob die Absicht des Behandelnden klar ist, sondern welche Grundhaltung er betreffend wertem und unwertem Leben, Lebensqualität, Optimismus und Pessimismus vertritt. Hier braucht es eine klare Definition, denn es besteht die Gefahr, dass Mitleid tötet.
  • Seite 9: Hier kann auch durch ein “zu früh” eine sinnvolle Behandlung und die damit verbundene Hoffnung verhindert werden. Die Frage ist, was hohe Wahrscheinlichkeit definiert und was Prognose definiert.
  • Seite 11: Bestmögliche Evidenz ist nicht definiert. Es muss definiert werden, welche Elemente eine solche Evidenz ermöglichen.
  • Seite 13:Es ist nicht klar, wie eine aussichtslose Behandlung definiert ist. Hier kann sehr viel Subjektivität eine Situation aggravieren.
  • Seite 17: Auch hier fehlt die Information darüber, was eine sorgfältige Information beinhaltet.
  • Seite 18: Es wird nicht definiert, welche Informationen vorliegen müssen, um ein problematisches Abhängigkeits-Verhältnis zu erkennen.
  • Seite 23: Beendigung des Lebens als Behandlungsziel ist ein äusserst gefährlicher Vorschlag und zielt wohl auf eine Rationierung ab (Abkürzung des unvermeidlichen Sterbeprozesses).
  • Seite 24: Der Anspruch, «keinesfalls zu schaden» steht so nirgends und entspricht auch hier dem Wunsch nach Rationierung von Leistungen, die schaden könnten, fast die ganze Medizin wäre dann obsolet. Es muss heissen «primum nil nocere» und nicht «primum nunquam nocere».
  • Seite 25: Mit dem Begriff der «ethischen Grauzone» weicht die SAMW ethisch-normative Leitplanken auf und erklärt die Ethik selbst zur Grauzone. Der Begriff ist an und für sich falsch.

Verantwortliche Subkommission
Prof. Dr. med. Christian Kind, St. Gallen, Vorsitz
Dr. med. Daphné Berner, Corcelles (ehem. Kantonsärztin)
Susanne Brauer, PhD, Zürich, Vizepräsidentin ZEK (Ethik)
Sonja Flotron, Reconviller (Pflege / Palliative Care)
Prof. Dr. phil. Heinz Gutscher, Zürich (Sozialpsychologie)
Prof. Dr. iur. Daniel Hürlimann, St. Gallen (Recht)
Prof. Dr. med. Samia Hurst, Genf (Ethik)
Dr. med. Roland Kunz, Zürich (Geriatrie / Palliative Care)
Dr. sc. med. Settimio Monteverde, MME, MAE, RN Zürich (Pflege / Ethik)
Dr. med. Hans Neuenschwander, Lugano (Onkologie / Palliative Care)
Prof. Dr. med. Hans Pargger, Basel (Intensivmedizin)
Dr. med. Florian Riese, Zürich (Psychiatrie / Palliative Care)
lic. iur. Michelle Salathé, MAE, Bern, ex officio (Recht, SAMW)
Prof. Dr. med. Walter Reinhart, Chur (Innere Medizin)
Prof. Dr. theol. Markus Zimmermann, Fribourg (Ethik)
Beigezogene ExpertInnen
PD Dr. med. Klaus Bally, Basel
PD Dr. med. Georg Bosshard, Zürich
Prof. Dr. med. Steffen Eychmüller, Bern
Prof. Dr. iur. Bernhard Rütsche, Luzern
Bianca Schaffert, MSN, Schlieren
Dr. med. Marion Schafroth, Liestal
Prof. Dr. med. Jan Schildmann, Bochum
Prof. Dr. med. Friedrich Stiefel, Lausanne
Dr. med. Henri Wijsbek, Amsterdam